Eigenverantwortliche Schule – Implikationen für die Schulaufsicht

27.06.2018 - Dokumentation des 1. Salons vom Schulaufsichtsfachtag

© DKJS/B. Bernat

Viele Länder diskutieren derzeit die Eigenverantwortung von Schule und einige Länder sind Vorreiter bei diesem Thema. Der Begriff „Eigenverantwortliche Schule“ wird jedoch sehr unterschiedlich definiert – beispielsweise im Hinblick auf die Wirkungsbereiche sowie den Ressourcen- und Steuerungsumfang. Inwieweit trägt die hohe Eigenverantwortung von Schulen tatsächlich zu deren Qualitätsentwicklung bei? Stehen Ganztagsschulen hierbei vor besonderen Herausforderungen? Und wie verändert sich dadurch die Rolle der Schulaufsicht?

Diese und weitere Fragen diskutierten die Teilnehmenden des ersten LiGa-Schulaufsichtsfachtags im Salon 1 „Eigenverantwortliche Schule – Implikationen für die Schulaufsicht“. Eingangs wurde das Thema in drei kurzen Impulsen aus den Perspektiven einer Schulberaterin, einer schulfachlichen Referentin und einer Schulleiterin beleuchtet.

Schulen sind eigensinnige Systeme

Karin Bausen, Schulberaterin der Lehrkräfteakademie des Hessischen Kultusministeriums und ehemalige Förderschullehrerin hat bereits an vielen unterschiedlichen Schulen unterrichtet. Zu Beginn ihres Impulses charakterisierte sie Schulen als „eigensinnige Systeme, die man eigentlich nur steuern kann, wenn man ihnen Autonomie lässt“. Das bedeute für die Schulaufsicht, dass beispielsweise der Unterricht nicht direkt von außen gesteuert werden könne. Die Aufgabe der Schulaufsicht liege eher darin, Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie sollen die Schulen anregen und es ihnen ermöglichen, sich auf den Weg zu machen.

Die Schulinspektion in Hessen sei zunächst von der externen Evaluation geprägt gewesen. Diese habe sich von Berichten in Form seitenlanger Freitexte hin zu konkreten Rückmeldungen für die einzelnen Schulen entwickelt. Weiterhin verlagerte sich der Fokus weg von der externen hin zur internen Evaluation.

In Hessen gibt es das Spezifikum der selbständigen Schulen. Diese haben einen etwas höheren Etat, der im Gegensatz zu den anderen Schulen frei verwaltet werden kann. Damit einher geht eine Verpflichtung zu einem umfangreicheren Qualitätsmanagement, welchem allerdings laut der Regelevaluation nicht ausreichend nachgekommen wird. Hier sieht man: Schulentwicklung lässt sich nicht durch Erlasse befördern, sondern muss sinnhaft und positiv gestaltet werden.

Kompetenzprofil für eine pädagogische Schulaufsicht

Über die besondere menschliche Haltung, die auch in der Arbeit mit Schulen wichtig ist, referierte Carola Hübner, schulfachliche Referentin im Landesschulamt Sachsen-Anhalt. „Aus einem Bauchgefühl heraus wollten wir Lehrer werden. Wir wollten mit Kindern arbeiten. Eigentlich muss man nur wieder auskramen, was da drin ist.“ Dies sei von sehr großer Bedeutung, weil die Qualität von Schule an die Kompetenzen der Schulleitung gebunden sei, insbesondere was Kooperation und Kommunikation angeht. Das könne durch rein fachliche Kompetenzen nicht ausgeglichen werden. Was mittlerweile von den Schulleitungen erwartet würde, dürfe aber auch im Kompetenzprofil der Schulaufsicht nicht fehlen: unterstützen, koordinieren, begleiten und beraten. Diese Kompetenzen finden sich auch im sächsischen Kompetenzprofil für eine pädagogische Schulaufsicht wieder.

Im Rahmen der Teilnahme des Landes Sachsen-Anhalt am Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ werden zurzeit 15 schulfachliche Referentinnen und Referenten am Institut artop der Humboldt-Universität Berlin zu Organisationsberatern ausgebildet. Auch hier ist die Haltung ein wichtiger Faktor. Man könne nur beratend tätig sein, wenn Beratung gebraucht wird.

Transparenz im Prozess der Eigenverantwortung

Einen Einblick in die Praxis einer eigenverantwortlichen Schule gab Susanna Siegert, Schulleiterin der Grundschule Ohrnsweg in Hamburg. Sie sagte: „Einerseits stehen Schulleitungen vor der täglichen Herausforderung, knappe Ressourcen zu verwalten und zwischen Rollenerwartungen zu jonglieren. Andererseits kann man auch das Beste aus dieser Position herausholen.“

Susanna Siegert stand vor der Herausforderung, ihre Schule eigenverantwortlich aus einem integrativen Regelsystem in einen gebundenen integrativen Ganztag zu führen. Verschiedene Faktoren waren hilfreich, um diesen Prozess erfolgreich zu gestalten:

Die Transparenz des eigenen Handelns ist für Siegert einer der wichtigsten Punkte. Regelmäßige Informationen sind notwendig, um das Kollegium bei der Weiterentwicklung der Schule mitzunehmen. Entwicklung gelingt außerdem leichter, wenn Schule in Bewegung bleibt. Neue Kolleginnen und Kollegen sowie die Teilnahme an Schulversuchen würden dies befördern. Die Absprachen mit der Schulaufsicht im Rahmen einer Ziel- und Leistungsvereinbarung waren für Susanna Siegert gleichermaßen hilfreich. Als Basis dafür diente ihr der Orientierungsrahmen für Schulleitungen. Ein vertrauensvolles Verhältnis mit der Schulaufsicht ist ebenfalls wichtig, damit dieser Prozess gelingt. Die beiden Aufgaben Steuerung und Beratung sind ihrer Meinung nach in der Rolle der Schulaufsicht nicht zu vereinen. Beratung könne nur in Anspruch genommen werden, wenn sie ergebnisoffen sei, was mit der Kontrollfunktion der Aufsicht kollidiere.

Schulentwicklung braucht Zeit, Wertschätzung und Vertrauen

In der Diskussion im Salon 1 „Eigenverantwortliche Schule – Implikationen für die Schulaufsicht“ wurde der Rollenkonflikt der Schulaufsicht zwischen Kontroll- und Beratungsfunktion besonders im Kontext der „Eigenverantwortlichen Schule“ deutlich. Hierbei kam auch der Bedarf nach einer Begriffsklärung auf. Was heißt eigentlich „Eigenverantwortliche Schule“ in den verschiedenen Bundesländern? Bedeuten mehr Rechte dann auch mehr Pflichten? Und kann Eigenverantwortung auch den Impuls nach mehr Kontrolle auslösen?

Einigkeit herrschte unter den Teilnehmenden, dass Schulentwicklung vor allem Zeit, Wertschätzung und Vertrauen braucht. Dass die Schulaufsicht ihre Kontrollfunktion ausübt und Fortschritte prüft, muss nicht im Widerspruch dazu stehen. Die Teilnehmenden schlussfolgerten, dass die Schulaufsicht je nach Bedarfslage der Einzelschule entscheiden muss, wie stark sie Prozesse unterstützt – und durchaus Schulen auch mal „in Ruhe lassen“ sollte.

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